Kompass für das Abenteuer Alter

Ist das Älterwerden etwas, vor dem man sich fürchten muss, oder bieten sich vielleicht auch neue Chancen und Perspektiven? Keine Frage, mit Anfang 60 kommt man in eine neue Lebensphase, die viele Veränderungen mit sich bringt, wobei die Pensionierung sicher besonders einschneidend ist, und einen vor die eine oder andere Herausforderung stellt. Eine Anleitung für den (Un-)Ruhestand von Dr. Barbara Stekl: 

Sehnen Sie sich danach, dass Sie der Wecker in der Früh nicht mehr gnadenlos aus dem Schlummer holt? Sie wollen endlich mehr Freizeit haben und nicht mehr in der Arbeitsmühle gefangen sein? Dann ist der Gedanke an die Pension vermutlich reizvoll für Sie. Doch nicht immer bringt der Ruhestand, was man sich erhofft hat. Hier einige Tipps, wie der Einstieg in den neuen Lebensabschnitt gelingen kann: 

Die Abschiedsfeier mit den Kollegen ist vorbei. Sie sind nun ganz offiziell im Ruhestand! Ein Geschenk und Blumen in der Vase erinnern an den zu Ende gegangenen Arbeitsalltag. Aber vielleicht beschleicht Sie jetzt, nach der ersten Euphorie, eine gewisse Wehmut und Sie fragen sich bange: Was werde ich mit der vielen Zeit jetzt anfangen? Soll das alles gewesen sein? Wenn es Ihnen so geht, dann sind Sie nicht alleine mit diesen Gefühlen. Das ist ganz normal – für fast alle, die die Pension antreten. Bei aller Erleichterung ist es in Ordnung, auch traurig und sentimental zu werden. Denn ein Lebensabschnitt ist unwiderruflich vorbei. Auch wenn Kollegen anstrengend waren, der Chef genervt hat und der Arbeitsdruck stetig mehr geworden ist, so ist die Arbeit für die meisten auch mit viel Gutem verbunden. Also seien Sie ruhig mal traurig. Aber bitte nicht zu lange. Denn die Welt wartet auf Sie! 

Beruf als Pfeiler der Identität
Einen Job auszufüllen bedeutet schließlich auch, eine Identität zu haben. Durch Ausbildung, Studium, Lehre erwerben wir Fähigkeiten, die uns eine gewisse Rolle einnehmen lassen. Eine Freundin von mir sagte beim Pensionsantritt seufzend: „Ich war bisher die Oberärztin. Das bin ich jetzt nicht mehr und das ist sehr ungewohnt.“ Der Beruf bietet im günstigsten Fall die Möglichkeit, Gestaltungs- und Einflusswünsche zu befriedigen, gesellschaftliche Anerkennung zu erlangen, Kontakte und Freundschaften zu knüpfen, ein soziales Umfeld und eine Quelle von Selbstbewusstsein und Glück zu haben. Wenn man sich besonders mit dem jeweiligen Job identifiziert und dann durch den Pensionsantritt der Einfluss und Tätigkeitsbereich plötzlich wegfällt, führt das nicht selten zum „Pensionsschock“ und einer echten Lebenskrise.
Das berühmte schwarze Loch tut sich auf und mit ihm oft Depression und Sinnlosigkeitsgefühle. Leicht ist es alle Male nicht. Denn nicht selten fühlen sich Ruheständler als zum „alten Eisen“ gehörig, aufs Abstellgleis verbannt. Das nagt erheblich am Selbstwert. Das muss aber nicht so sein. Denn eine Tür schließt sich und eine neue geht auf – in ein oft spannendes, bisher unbekanntes Land, um sich neu zu finden und selbst zu verwirklichen. Denn „Ruhe geben“ müssen Sie allemal nicht. 

Tipps für Einsteiger-Pensionisten
• Versuchen Sie, auch in der Pension Ihren Tagesablauf zu strukturieren und zu planen. Das heißt nicht, dass für Spontanität kein Platz sein darf. Aber eine Struktur ermöglicht einen gewissen Rhythmus, der Ihnen hilft, nicht in eine Lethargie zu verfallen.
• Geben Sie sich Zeit für Entdeckungsreisen, um zu erkunden, was Ihnen wirklich Freude macht. Was wollten Sie schon immer tun, haben aber bisher keine Zeit dafür gefunden? Zwingen Sie sich zu nichts!
• Auch wenn das Budget knapper ist, als in der beruflich aktiven Zeit, es gibt eine Vielzahl von Aktivitäten, die nicht so viel kosten und gar nicht die Brieftasche belasten: Das Wandern in der Natur zum Beispiel gibt´s zum Nulltarif.
• Vielleicht wollen Sie ja auch alte Kontakte wieder aufleben lassen oder neue Bekanntschaften bei Ihren Hobbys schließen? Ein soziales Netzwerk ist ganz wichtig, um nicht zu vereinsamen und Lebensfreude und Geborgenheit daraus zu beziehen.
• Wenn Sie Enkelkinder haben, könnten Sie „Omi-“ bzw. „Opitage“ einplanen. Das hilft Ihren berufstätigen Kindern – und Sie haben eine Aufgabe. Aber achten Sie auch auf sich: Babysitten sollte nicht zum Fulltime-Job werden.
• Sich sozial bzw. ehrenamtlich engagieren – da gibt es je nach Neigung eine Vielzahl an Möglichkeiten, in Vereinen tätig zu werden.
• Je nach Verfügbarkeit können Sie noch ein bisschen zusätzlich arbeiten, um Ihr Budget aufzubessern. Aber auch, um nicht ganz aus dem Berufsleben auszuscheiden, kann es sehr sinnstiftend sein und hilft den grauen Zellen in Form zu bleiben.
• Wenn Sie sich von der Muse geküsst fühlen, können Sie malen, schreiben, musizieren, kunsthandwerken, basteln und vieles mehr. Das tut der Seele gut.
• Die Welt bereisen, den Horizont erweitern, neue Erfahrungen machen, Sprachen lernen, ein Studium absolvieren.
• Schreiben Sie eine Liste, was Sie schon immer tun wollten, aber die Berufspflichten nicht zugelassen haben. Denn gestern war Pflicht und heute ist Vergnügen. Träume können auch im Ruhestand wahr werden.
• Wenn Sie Tiere lieben, aber ein eigenes Haustier doch nicht in Frage kommt, bieten Sie Tiersitting an. Berufstätige Menschen freuen sich bestimmt über so ein Angebot.
• Machen Sie sich Ihr eigenes Gesundheitsprogramm, das Sie gut in Ihren neuen Alltag einbauen können.
• Erwecken Sie Ihre Partnerschaft und soziale Kontakte zu neuem Leben – gestalten Sie sie in einer neuen Qualität.
• Vergessen Sie Ihren Humor nicht! Erhalten Sie sich diesen wie einen goldenen Schatz. Lachen ist und hält gesund und macht Sie auch für Ihre Umwelt attraktiver. Es macht vieles im Leben leichter, wenn Sie es humoristisch und mit einem Augenzwinkern betrachten.
• Treffen Sie Vorsorge für das spätere Alter, wie z.B. durch altersgerechte Gestaltung der Wohnung oder legen Sie den Garten so an, dass er weniger arbeitsaufwändig wird.
• Öffnen Sie sich der Spiritualität – die Auseinandersetzung mit „Gott und der Welt“ eröffnet eine neue Dimension. Finden Sie neue Wege der Entspannung und Besinnlichkeit, u.a. durch kreative Rituale sowie Ihre persönliche Meditationsform. 

Das Älterwerden kann ein Wagnis sein, Dinge zu tun, die Sie sich bisher nicht zugetraut haben. Es ist dies aber auch mit dem Erkennen von Grenzen, körperlicher und unter Umständen finanzieller Art, verbunden. Das ist bestimmt schmerzhaft, bedeutet es doch ein Stück Abschied nehmen. Aber innerhalb dieser Grenzen ist ein großer Raum, der darauf wartet, von Ihnen entdeckt und erobert zu werden. Hören Sie einfach auf Ihr Innerstes. Es wird Ihnen sagen, was Ihrer Seele Flügel verleiht – und zwar unabhängig davon, wie alt Sie sind. 

 

Originaltext veröffentlicht im Magazin „Kneipp bewegt“ 11/2017.

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